Foto: Fotolia/Kzenon

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Schulformen im Wandel

Sinkende Schülerzahlen und die Forderung nach einer besseren Förderung benachteiligter Schüler sind Herausforderungen, denen sich Schulen stellen müssen. Ein Überblick zum Schulformwandel in Deutschland.


Die Entwicklung des Schulwesens vollzieht sich im Spannungsverhältnis von Unterrichts-, Schul- und Schulstrukturentwicklung. Insbesondere die Schulstrukturdebatten waren in der Vergangenheit stark ideologisch aufgeladen. Beispielhaft dafür sind die Auseinandersetzungen in den 1960er und 1970er Jahren um die Ersetzung des gegliederten Schulsystems durch die Gesamtschule, die letztlich ohne durchgreifenden Erfolg blieben. In den 1980er Jahren verlagerte sich die Diskussion auf die Verbesserung der einzelnen Schule und des Unterrichts. Mit den Ergebnissen der internationalen Schulleistungsstudien - und insbesondere der TIMS-Studie Mitte der 1990er Jahre - erhielten Bestrebungen zur Verbesserung des Unterrichts und der Fortbildung von Lehrkräften einen Anstoß. Diese Bemühungen halten an und sind sicher für die Verbesserung der Leistungen der Schüler zentral. Dennoch haben im letzten Jahrzehnt auch Fragen der Schulstruktur wieder an Bedeutung gewonnen. Diese Entwicklungen haben mehrere Ursachen, von denen besonders hervorzuheben sind:


Bildungschancen benachteiligter Gruppen verbessern

Ein wichtiges Anliegen der Bildungspolitik ist die Verbesserung der Bildungschancen bisher benachteiligter Gruppen. Zur Bildungsbenachteiligung trägt auch die Gliederung des Schulwesens bei. Auf der Grundlage von Befunden von Längsschnittstudien wurde im letzten Jahrzehnt mehrfach auf die Bedeutung der Leistungszusammensetzung von Lerngruppen auf die Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler hingewiesen. Insbesondere können durch sinkende Jahrgangsbreiten an der Hauptschule Folgen für die Leistungszusammensetzung der Schülerschaft entstehen, und die Kritik an der Leistungsfähigkeit der Hauptschule bezieht sich vornehmlich auf die Hauptschule in sogenannten "schwierigen Milieus". Durch die abnehmende Akzeptanz der Hauptschule bei den Eltern wird es aber immer schwieriger, die Arbeitsfähigkeit von Hauptschulen über eine ausreichend breite und heterogene Schülerklientel zu sichern.


Geburtenrückgang im ländlichen Raum

Seit 1990 ist die Geburtenentwicklung in Deutschland rückläufig. Besonders stark waren davon zunächst die ostdeutschen Länder nach 1990 betroffen. Aber auch in Westdeutschland weisen altindustrielle Regionen wie das Ruhrgebiet und Saarland sowie viele ländliche Räume einen starken Geburtenrückgang auf. Dadurch sind Schulschließungen oft nicht mehr zu vermeiden. In ländlichen Regionen verlieren viele Gemeinden das einzige Angebot an weiterführenden Schulen oder sogar die Grundschule. Es liegt dann nahe, über die Zusammenfassung mehrerer Bildungsgänge in einer Schule wohnortnahe Schulangebote zu erhalten. Dies war ein Antrieb, um die Kombination von Haupt- und Realschule in einer Schule auch in Westdeutschland voranzutreiben, etwa in Form der Werkrealschule in Baden- Württemberg.

Durch die rückläufigen Schülerzahlen und die abnehmenden Besuchsquoten der Hauptschulen konnte sich die Bildungspolitik der Forderung nach der Zusammenlegung der Hauptmit der Realschule oder der Einrichtung von Gemeinschaftsschulen, die auch den gymnasialen Bildungsgang anbieten, siehe das Beispiel der Berliner Sekundarschule Heinz Brandt, als Maßnahme des Abbaus von Bildungsbenachteiligungen generell nicht mehr entziehen. In 11 der 16 Bundesländer existiert inzwischen ein zweigliedriges Schulsystem in der Sekundarstufe I.


Ausbau von Ganztagsschulen

Sowohl aus familien- als auch aus arbeitsmarktpolitischen Gründen wird der Vereinbarkeit von Kindererziehung und Berufstätigkeit zunehmende Bedeutung beigemessen. Diese Bestrebungen führten nicht nur zu einem verstärkten Ausbau der Vorschulerziehung, sondern auch zu Anforderungen an die Schule, die Kinder nicht nur zu unterrichten, sondern auch unterrichtsergänzend zu fördern und zu betreuen.

Dieses Anliegen setzt der Ausbau der Ganztagsschule um, der sich im letzten Jahrzehnt nach jahrzehntelangem Stillstand überraschend intensiv vollzog. Inzwischen sind etwa die Hälfte aller Schulen in Deutschland Ganztagsschulen und sie werden von etwa einem Viertel aller Schüler besucht. Mit der vorherrschenden Form der Schule mit offenem Ganztagsangebot lassen sich zwar nicht alle pädagogischen Ziele der Ganztagsschule umsetzen, aber ein wichtiger Schritt ist getan. Auch ist ein flächendeckendes Ganztagsangebot - vor allem im Grundschulalter - noch lange nicht erreicht. Viele Reformschulen sind aber zugleich Ganztagsschulen.


Debatte um Inklusion

Das Bestreben zu einer weiteren Qualitätsverbesserung der Schule, gesellschaftliche Herausforderungen und neue Erkenntnisse der Bildungsforschung werden auch in Zukunft zu stets neuem Reformbedarf im Schulwesen führen. Mit der Debatte um ein inklusives Schulsystem kündigen sich bereits weitere Veränderungen an. Nachhaltige Reformen sind aber nur zu erreichen, wenn Unterrichts-, Schul- und Schulstrukturentwicklung ineinandergreifen und die Lehrkräfte für neue Anforderungen qualifiziert werden. Die rückläufigen Schülerzahlen setzen Ressourcen frei. Sie können im kommenden Jahrzehnt für eine angemessene Sach- und Personalausstattung der Schulen und die Fortbildung der Lehrkräfte eingesetzt werden, damit die notwendigen Veränderungen zu den gewünschten Verbesserungen führen.

 

 

AUTOR

Prof. Dr. Horst Weishaupt leitet die Arbeitseinheit "Steuerung und Finanzierung des Bildungswesens" am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), Frankfurt/Main.

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