Autonom im Team

Eine Mainzer Forschungsgruppe skizziert Bedingungen, die die Entwicklung kooperativer Strukturen in Lehrerteams begünstigen können.


Lehrerkooperation gilt aktuell als Schlüsselelement von Schul- und Unterrichtsentwicklung. Zumeist wird angenommen, dass ausgeprägte Kooperation in "professionellen Lerngemeinschaften" einen positiven Effekt auf die Qualität von Unterricht und Schule hat, wenngleich empirische Forschungen diese Effekte bislang noch nicht eindeutig bestätigen.
Wo mittels Studien Projekte untersucht wurden, in denen Lehrkräfte in schulinternen und schulübergreifenden Fachgruppen (insbesondere in Mathematik und Chemie) zusammenarbeiteten, ließen sich organisationspsychologisch drei Stufen der Kooperation unterscheiden:
1. Austausch (zur gegenseitigen Information)
2. Arbeitsteilung (zur Abstimmung der Unterrichtsplanungen)
3. Ko-Konstruktion (zur gemeinsamen Reflexion und Weiterentwicklung der Unterrichtsqualität).

Das zur Zusammenarbeit nötige Vertrauen wird von Stufe zu Stufe größer, die eigene Autonomie geringer, die gemeinsamen Ziele langfristiger.


Noch dominiert das Einzelkämpfertum

Alles in allem wirken die bisherigen Ergebnisse der punktuellen Lehrerbefragungen jedoch eher ernüchternd: Kooperation zwischen Lehrpersonen findet entweder gar nicht statt oder gegebenenfalls nicht in anspruchs- und wirkungsvollen Formen.
Dass Kooperation zwar zunehmend erwünscht ist, im Schulalltag der Lehrkräfte aber kaum wirksam umgesetzt wird, lässt sich vermutlich in erster Linie auf zweierlei zurückführen: eine nur lose gekoppelte Organisationsstruktur der Schule und die darin dominierende individualistische berufliche Orientierung der Lehrpersonen. So erfahren sich Lehrkräfte durch ihre isolierte Tätigkeit im abgeschirmten Klassenzimmer häufig als Einzelkämpfer; und durch die Vorstellung, dass alle Lehrpersonen bezüglich ihrer Arbeitsqualität als selbstständig und gleichwertig zu betrachten und zu behandeln sind, fühlen sie sich faktisch der Einmischung Dritter entzogen.
Vor diesem Hintergrund erweist es sich als kontraproduktiv, wenn im schulinnovativen Diskurs die Vorteile von Kooperation einseitig in den Vordergrund gerückt und der mit Kooperation verbundene Aufwand und die möglicherweise entstehenden Divergenzen und Differenzen oft außer Acht gelassen werden. Denn ungewohnt enge, von außen programmatisch vorgeschlagene Formen der Kooperation können von den Beteiligten nicht nur als Entlastung, sondern auch als Belastung und als Einbuße an kollegialer Autonomie wahrgenommen werden.


Erfolgreiche Teamarbeit: kein automatischer Prozess

Nicht Ratlosigkeit und Resignation sollen Einzug halten in die Kollegien, sondern die Entwicklung immer effektiverer Teamarbeit. Solche Formen und Bedingungen gelingender Kooperation erschließen sich leichter am Beispiel von sich als erfolgreich erlebenden Lehrerteams. In dieser Absicht hat eine Mainzer Forschungsgruppe um Franz Hamburger, Till-Sebastian Idel und Heiner Ullrich einen mikroskopischen Blick auf die faktischen Kooperationsprozesse von Lehrkräften in sieben Teams aus rheinland-pfälzischen Sekundarschulen geworfen. Die Teams ließen sich freiwillig monatelang in ihren Sitzungen beobachten und begleiten. Am Beispiel der Fachkonferenz Mathematik an einer IGS im ländlichen Raum wird skizziert, wie eine Fachgruppe als kooperatives Team unterrichtsmethodische und bildungspolitische Innovationen bearbeitet und produktiv einsetzt. Das Spektrum des Kooperationsprozesses reicht in diesem Team von der Koordinierung der Lehrmaterialien und der gemeinsamen Terminierung von Parallelarbeiten über die konzeptionelle Arbeit an Jahresarbeitsplänen unter Berücksichtigung der Bildungsstandards bis hin zur Reflexion der eigenen Unterrichtspraxis.

Diese IGS partizipiert laut eigenem Schulprogramm am Fortbildungskonzept der "Pädagogischen Schulentwicklung" (PSE) von Heinz Klippert (EFWI Landau). Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Austausch von Unterrichtsmaterialien zwischen Fachlehrern und die eventuelle Übernahme von Unterrichtseinheiten, die in der Form von "Makrospiralen" im Sinne von "Arbeitsinseln" für eigenverantwortliches Arbeiten (EVA) entwickelt werden. Dazu hat sich freiwillig innerhalb der Fachkonferenz - sozusagen als "harter Kern" - eine eigene kleine Vierergruppe gebildet, die diese konzeptionelle Entwicklungsarbeit vorantreibt und durch Vorlagen absichert.

Die Kooperation ist in den Sitzungen geprägt durch ein sehr informelles kommunikatives Klima, in dem sich die Beteiligten als Gleiche wertschätzen. Hierarchien und Asymmetrien werden vermieden oder gekonnt umschifft, etwa wenn die Leiterin der Konferenz sich häufig mit Selbstironie von ihrer Führungsposition distanziert. Der Verlauf wird weniger von der Tagesordnung als von spontanen Einwürfen und Ideen bestimmt. In der scherzhaft lockeren Kommunikation kommt auch immer wieder der Wunsch einiger Mitglieder zum Ausdruck, in der Konferenz möglichst wenige verbindliche Absprachen zu treffen. So soll unter anderem jedem Einzelnen die Entscheidung überlassen bleiben, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß er sich an der Anwendung der Makrospiralen in seinem Unterricht beteiligt. Trotzdem entsteht der Eindruck, dass es unter den Teilnehmern einen gemeinsamen Orientierungsrahmen gibt, der vor allem bei der Beratung über die neuen ministeriellen Vorgaben "von oben" zum Ausdruck kommt. Dabei müssen diese Neuerungen der kritischen Begutachtung durch die Akteure standhalten. Ihre Übernahme ist einerseits vom Anspruch auf professionelle Autonomie und andererseits von der Verantwortung für die Schülerinnen und Schüler bestimmt.


Bedingungen erfolgreicher Kooperation

Die in der Gruppendiskussion abschließend befragten Mitglieder erleben die Kooperation als gelingend. Denn einerseits führt sie zu einem kollegialen Austausch von Materialien und Ideen und andererseits kann hier jeder seine Probleme und Schwierigkeiten thematisieren, ohne sich bloßgestellt oder in seiner Gestaltungsverantwortung beschnitten zu fühlen. Die Zusammenarbeit wird als ein besonderes kollegiales Vertrauensverhältnis erfahren, das vor Herabsetzungen und Verletzungen schützt. Ein wichtiges kollegiales Bindeglied ist außerdem das gemeinsame pädagogische Ethos, das mit den Begriffen Schüler- und Lebensweltorientierung nur vage umschrieben ist. Insgesamt gesehen erfolgt die Kooperation in diesem Team eher im Ich- als im Wir-Modus. Das bedeutet, dass jedes Mitglied versucht, seine eigenen fachlichprofessionellen Ziele zu erreichen, indem es sein Vorgehen auf die entsprechenden Ziele der anderen ausrichtet. Gemeinsames Unterrichten liegt in dieser Gruppe gar nicht im innovativen Gedankenkreis, und zwar nicht, weil es organisatorisch dazu keine Option gäbe, sondern weil das eigene professionelle Selbstverständnis dazu bislang keine Bereitschaft mobilisieren kann. Die Kolleginnen und Kollegen schätzen das Team, weil es auf der Basis gegenseitiger Wertschätzung der emotionalen Stabilisierung und der Steigerung der fachlichen Lehrkompetenz dient. Kurz: Das Team ist erfolgreich durch die Balance zwischen Kollegialität und Kooperation.

LITERATUR
Baum, Lisa/ Idel, Till-Sebastian/ Ullrich, Heiner (Hrsg.): Kollegialität und Kooperation in der Schule. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2012.

 

AUTOR

Prof. Dr. Heiner Ullrich lehrt am Institut für Erziehungswissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.

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